Mit einer Freundin traf ich mich an dem Ort, an dem wir beide aufgewachsen sind: Cottbus Sachsendorf-Madlow, ein Stadtteil, der in den 1980er Jahren mit 12.000 Wohnungen und fast 35.000 Einwohnern als die größte Plattenbausiedlung des Landes Brandenburg in die Geschichte einging. Die damals östlichste Großstadt der Republik hatte 1989 etwa 130.000 Einwohner. Seitdem haben außer uns beiden noch knapp 50.000 weitere Leute die Stadt verlassen.
Die Häuser, in denen wir unsere Kindheit und Jugend verbracht haben, wurden inzwischen abgerissen. Es ist das sprichwörtliche Gras darüber gewachsen. Nur der Zeitschieber bei Google Earth verrät, dass da mal Gebäude standen. Das zugewachsene und nach der slowakischen Partnerstadt Košice benannte Eiscafe ist kaum noch zu erkennen, der Jugendklub in der Kleiststraße ebenso. Beim Umsehen merkt man richtig, wie das Gehirn arbeitet und dem Auge ständig mitteilt, dass das übertragene Bild nicht zum Archivmaterial im Kopf passt. Überall fehlen Wohnblöcke und die Natur holt sich ihr Gebiet zurück: Bäume und Sträucher, wo einst elfgeschossige Häuser standen. Nur ein paar Gehwege, die teilweise im Nirgendwo enden, Parkplätze, Transformatorenhäusschen und scheinbar sinnlos in der Gegend herumstehende Straßenlaternen lassen vermuten, dass hier mal mehr war. Das Gebäude meiner ersten Schule gibt es noch, die von ihr ist weg. Beim Kindergarten ist es andersherum. Es folgte ein Besuch beim Madlower Badesee; Erinnerungen sprudeln nur so heraus: Weißt Du noch? Rettungsturm, Bademeister, Kiosk mit Terrasse und Lichtern, Sandstrand mit diesen eiförmigen Plastik-Häuschen. Alles weg. Auf dem Rückweg sahen wir im Vorbeifahren ein Plakat der aktuellen „Brot-für-die-Welt”-Kampagne: „Manche lassen ihr ganzes Leben zurück. Um es zu behalten.”
Sie: „Haste gesehen?” Ich zustimmend: „Hmmm.”
Hinweis: Die Fotos zeigen keine schönen Seiten der Stadt Cottbus und des Stadtteils Sachsendorf Madlow. Wer daraus schließt, dass es dort überall so aussieht, tut der Stadt unrecht. Cottbus hat sich durchaus herausgeputzt und ist immer eine Reise wert (siehe Blogpost: Heute hier, morgen dort.). Nur der Stadtteil in dem wir aufgewachsen sind, zeigt noch an ein paar wenigen Ecken, dass dort einmal richtig was los war. Das es dort, wo heute wieder Gras und Bäume wachsen, für 20 Jahre echte Urbanität gab, mit allen Höhen und Tiefen. Ich hätte nirgendwo anders aufwachsen wollen.
Sehr beeindruckend und toll geschrieben!
http://www.lr-online.de/regionen/cottbus/Wie-der-Kommunismus-einmal-fast-im-Sueden-von-Cottbus-siegte;art1049,2928342 das passt dazu…
Ja, so fühlt sich das an, wenn ich an unsere Kindheit zurück denke danke dir für’s mitnehmen auf die befremdlich faszinierende Reise zu Orten, die nur noch als Erinnerungen existieren.
Hallo Sandra, freut mich, dass Du hier mitliest. Der Weg auf dem Titelbild ginge übrigens genau durch die Makarenkostraße 12⁄13. Wenn das Haus noch stehen würde.