Zu Besuch im Norden.

Ich war für einen Monat in Bre­men. Nur einen Stein­wurf von der Hoch­schu­le für Küns­te ent­fernt, in und neben der ich vor über zehn Jah­ren gear­bei­tet habe.

Orte an denen man frü­her gelebt hat, zumin­dest ist das bei mir so, machen im Kopf vie­le Schub­la­den auf, die lan­ge geschlos­sen waren. Und dann fängt man an dar­in rum­zu­wüh­len und erin­nert sich an die Level die man durch­ge­spielt hat. Was man zu der Zeit so gedacht, gemacht und gelernt hat und wel­che Situa­tio­nen klei­ne Pflänz­chen in einem gesät haben und was davon noch übrig ist.

Zeitweise Zeitreise.

Ich begeg­ne ihm dann manch­mal. Einem Typ mit aus­ge­wa­sche­nem Rol­li, schief­ge­latsch­ten Sprin­ger­stie­feln und zu gro­ßer Leder­ja­cke aus dem Second Hand in Ber­lin Kreuz­berg. Er, der da mal vor was weiß ich wie viel Jah­ren gelebt und Kunst gemacht hat, die heu­te weg aber auf Goog­le Street View noch zu sehen ist. Ich bin ein biss­chen nei­disch auf das was der damals so hat­te und auch was der so nicht hat­te. Dann sit­zen wir zusam­men auf der Bord­stein­kan­te und dis­ku­tie­ren unse­re Welt­ver­bes­se­rungs­theo­rien. Die hat­ten wir ja schon immer. Damals wie heu­te. Und ich erzäh­le ihm, dass ich da mal einen Job nicht bekom­men habe, weil ich in der Beschrei­bung bei Xing Welt­ver­bes­se­rer drin ste­hen hat­te und der Geschäfts­füh­rer mir dazu gesagt hat, dass er das schon sehr befremd­lich fin­det und er sich nicht sicher ist, ob er sol­che Leu­te im Unter­neh­men haben möch­te. Na und? In so einem Piss­la­den will sowie­so kei­ner arbei­ten, sagt er und erzählt mir, was er so davon hält, dass ich nach dem Fei­er­abend mit einem gelie­he­nen Sport­wa­gen ans Meer fah­re und das da ein Star­bucks­be­cher im Geträn­ke­hal­ter steckt. [1]Der kri­ti­sier­te Punkt ist gelie­hen und nicht Sport­wa­gen, Anm d. Red.

Das Meer.

Auf das Meer bli­cken und nach­den­ken ist immer eine gute Idee, pöbelt er mich an, aber ob man wirk­lich sys­tem­kri­tisch agie­ren kann, wen man so scheiß ange­passt rum­läuft? Er weiß es nicht. Da muss wohl irgend­et­was mit dem Fokus schief gegan­gen sein, aber man kann sich jeden Tag ändern und muss das irgend­wie auch. Feh­ler­kul­tur und so, sagt er. Sonst steht man irgend­wann in so einer per­fek­ten Wohnwelt-Magazin-Hochglanz-Laufzeitumgebung und fragt sich, wann man eigent­lich genau falsch abge­bo­gen ist. Du denkst, du hast etwas tol­les geschafft, lebst aber eigent­lich in fest­ge­leg­ten Vor­aus­set­zun­gen, wie ein 16-Bit Pro­gramm was auf einem 64-Bit Betriebs­sys­tem ohne Rech­te läuft und sagst: „Wenn ich woll­te, dann könn­te ich aber ganz groß raus­kom­men“ und das Betriebs­sys­tem so: „Einen Scheiß kannst du.“ und die­se wir ver­kau­fen das als Performancekunst-Nummer ist jen­seits der Gren­ze des mensch­lich Zumut­ba­ren und man kann nur hof­fen, dass der Nagel der in die Linie Dei­ner eige­nen Per­sön­lich­keits­stö­rung gezim­mert ist noch eine Wei­le hält, sagt er. Geschenkt Alter. Ich kann mir nicht jeden Tag ein Ohr abschnei­den. [2]Mar­tin Kip­pen­ber­ger Kunst kann nur in destruk­ti­ven Gesell­schaf­ten gemacht wer­den die wie­der auf­ge­baut wer­den müs­sen [3]Art can only be done in des­truc­ti­ve socie­ties that have to be rebuilt. Mari­na Abra­mo­vić und Kunst ist eine aben­teu­er­li­che Rei­se in eine unbe­kann­te Welt, die nur von den­je­ni­gen erforscht wer­den kann, die bereit sind, die Risi­ken auf sich zu neh­men, [4]Adolph Gott­lieb, Mark Roth­ko, Bar­nett New­man sage ich. Tol­le Zita­te, has­te auch ne eige­ne Mei­nung, fragt er?  Klar, Kunst kann die Welt ver­än­dern, sage ich.

Und am Ende stel­len wir fest, dass da noch eine Men­ge Luft nach oben ist, mit dem Welt­ver­bes­sern und das aber Kunst – nach wie vor – der bes­te Ansatz ist. Und das mit dem Meer, dass man immer mal wie­der ans Meer fah­ren sollte.

Alle Fotos im Flickr-Album „Nor­den“

Die Instagram Posts aus dem Norden.

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1 Der kri­ti­sier­te Punkt ist gelie­hen und nicht Sport­wa­gen, Anm d. Red.
2 Mar­tin Kippenberger
3 Art can only be done in des­truc­ti­ve socie­ties that have to be rebuilt. Mari­na Abramović
4 Adolph Gott­lieb, Mark Roth­ko, Bar­nett Newman
Veröffentlicht unter Blog, Fotografie
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One comment on “Zu Besuch im Norden.
  1. Cha­peau! Groß­ar­ti­ge Bil­der, groß­ar­ti­ger Text. Den „Typ mit aus­ge­wa­sche­nem Rol­li, schief­ge­latsch­ten Sprin­ger­stie­feln und zu gro­ßer Leder­ja­cke“ hät­te ich gern ken­nen gelernt. ;-)

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