Im August 2012 präsentierte das älteste existierende deutsche Bankhaus, die Berenberg Bank mit Sitz in Hamburg, das Ergebnis der beim Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) in Auftrag gegebenen Studie, dem so genannten Kulturstädteranking. Ergebnis: Stuttgart ist Deutschlands Kulturmetropole Nr.1 [1]HWWI/Berenberg Kulturstädteranking 2012. Eintagsfliege, One-Hit-Wonder, Zufallssieg, kann nicht sein und falsch berechnet habe ich gehört. 2014, neue Studie, gleiches Ergebnis [2]HWWI/Berenberg Kulturstädteranking 2014! Wir sind Frankreichs Paris, Argentiniens Buenos Aires, das New York der amerikanischen Ostküste, das L.A. der Vereinigten Staaten. Bähm!
Auf den ersten Blick hat Stuttgart kulturell schon einiges zu bieten, aber gleich so viel? Mit knapp 600.000 Einwohnern ist Stuttgart die sechstgrößte Stadt der Republik und Kern der Metropolregion Stuttgart mit etwa 5,3 Millionen Einwohnern. Dem knausrigen Urschwaben mit einem durchschnittlichen pro Kopf Bruttoinlandsprodukt von 62.023 Euro zieht man keinen Kultureuro aus der Tasche. Denkt man.
Bei genauem hinsehen blitzen mehrere Perlen in der gemischten Architektur. Stuttgart hat 44 Museen, darunter fünf der elf staatlichen Museen Baden-Württembergs und Besuchermagneten wie das Porsche oder das Mercedes-Benz Museum mit zusammen 1,1 Millionen Besuchern pro Jahr. Doch damit nicht genug. Das Staatstheater Stuttgart ist das größte Drei-Sparten-Theater der Welt. Das Opernhaus wurde sechs mal mit dem Titel Opernhaus des Jahres ausgezeichnet, das Ballett zählt seit Beginn der 1960er Jahre zu den weltweit führenden Ballettensembles. Der Staatsopernchor wurde neunmal, als Chor des Jahres ausgezeichnet und das Schauspiel viermal zum Theater des Jahres gewählt. In den Austragungsorten von Theater der Welt taucht Stuttgart zwei mal auf, bisher als einzige Stadt. Natürlich sind nicht alles reine schwäbisch geführte Unternehmungen, aber vielleicht ist das das Geheimnis. Der Intendant des Balletts ist aus New Westminster in Kanada. Ein in Hongkong geborener englischer Kunsthistoriker leitete von 2006 bis 2012 die Staatsgalerie und bescherte dem Museum mit seiner letzten Ausstellung Turner – Monet – Twombly 145.000 Besucher in 3,5 Monaten. Ein Ergebnis, dass so schnell nicht zu toppen sein wird. Nicht nur: „Schaffe, schaffe, Häusle baue und net nach de Mädle schaue“, sondern gut auswählen und einstellen ist wohl das Vorgehen. Der Intendant des Staatstheaters arbeitete sich quer durch die Republik, um 2013 vom Berliner Maxim-Gorki-Theater nach Stuttgart zu wechseln. Die Leiterin des Kunstmuseums tauschte Düsseldorf gegen Stuttgart. Mit bisher beachtlichen Ergebnissen wie ich finde.
Die Zahlen der Studien sind sehr Interessant. Betrachtet wurden die 30 bevölkerungsreichsten deutschen Städte, von Berlin mit fast 3,4 Millionen bis Kiel mit knapp 240.000 Einwohnern. Indikatoren sind z. B. öffentliche Kulturausgaben, Fördermittel, öffentliche Bibliotheken, Theater‑, Kino- und Opernsitzplätze, Beschäftigte der Kulturwirtschaft, Künstlerdichte, Anzahl der Auktionshäuser, Galerien und Kunsthändler sowie Schüler und Studierende an Kunst- und Musikhochschulen.
An der Kulturausgabenspitze investierte Frankfurt am Main im Durchschnitt jährlich 222 Euro in jeden Einwohner, Stuttgart – Platz 9 – etwa 135 Euro und Kiel am wenigsten, rund 34 Euro. Bei den Bibliotheken leistet sich Stuttgart die höchsten Ausgaben mit 27 Euro pro Kopf und Jahr. Schlusslichter sind hier Berlin und Aachen mit etwa 11 Euro. Die Bibliotheksausgaben spiegeln sich aber auch in einer sensationellen Nutzung wieder. 140 aktive Bibliothekskunden je 1000 Einwohner und 28.873.880 Entleihungen. Das bedeutet, im Schnitt nutzt jeder Bürger in Stuttgart 8,3 Medien pro Jahr aus einer Bibliothek.
Bei den Theater‑, Musical‑, Opern- und Kinositzplätzen befindet sich Stuttgart im oberen Bereich, ebenso bei den Umsätzen. Die Künstlerdichte ist in Berlin am höchsten, hier kommen auf 1000 Einwohner über 10 Künstler, insgesamt sind das 35.681. In Stuttgart haben wir nur 2.900, das sind etwa 5 auf 1000 Einwohner. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Kulturwirtschaft führt Stuttgart mit 7,4 % das Feld an, gefolgt von München, Köln, Leipzig und Dresden mit etwa 5,6 %, die Liste Endet mit 1,8 % bei Mönchengladbach.
Wie sieht es mit den Museumsbesuchen aus? Zwischen 2010 und 2012 gab es 6 Museumsbesuche pro Einwohner in Dresden, dass sind beachtliche 3,1 Millionen Besuche und somit Platz 1. Danach folgen Berlin, München und Bonn. Stuttgart folgt auf Platz 6 mit 3,5 – am Ende steht Gelsenkirchen mit 0,1 Besuchen pro Einwohner im Jahr. Bei den Theater- und Opernbesuchen geht die Führung klar an Stuttgart mit (im Mittel) fast zwei Besuchen pro Einwohner und Jahr, während man in Duisburg Theater oder Oper (im Mittel) nur alle 5 Jahre besucht.
Unter dem Strich liegt Stuttgart bei den Elementen und Grundlagen, die für die Entstehung von Kunst und Kultur notwendig sind (Kulturproduktion), als auch bei der Aufnahme des kulturellen Angebots (Kulturrezeption) jeweils auf dem zweiten Platz. Berlin führt knapp bei der Kulturproduktion, München bei der Kulturrezeption. In der Gesamtwertung liegt Stuttgart auf Platz 1, weil in Berlin die Kulturrezeption (Platz 5) und in München die Kulturproduktion (Platz 7) nicht so start ausgeprägt sind. In der Gesamtwertung folgen München, Dresden, Berlin und Bonn. Gelsenkirchen, Wuppertal und Duisburg machen das Licht aus.
Verweise / References
↑1 | HWWI/Berenberg Kulturstädteranking 2012 |
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↑2 | HWWI/Berenberg Kulturstädteranking 2014 |
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