Der 31C3 hallt noch leicht nach. Die Rekonvaleszenzphase nähert sich dem Ende und wie in jedem Jahr, steht die Realitätsabgleichswand wie eine Festung da und wir bereiten uns auf den Aufprall vor. Schnell noch einmal zurückblicken und „Schön war’s!“ seufzen.
Es war mein 14. Chaos Communication Congress und die Eindrücke in diesem Artikel sind nur winzige Momentaufnahmen, denn mittlerweile ist die Veranstaltung so groß, dass es keine Chance mehr gibt einen vollständigen Überblick zu bekommen. Nach dem epischen 30C3 hätte ich nicht vermutet, dass der 31C3 noch einen draufsetzt, aber es war so. Über 10.000 Besucherinnen und Besucher, 54.000 kWh verbrauchte Energie und ein Netzwerk mit der Kapazität eines ganzen Kontinents.
Am Anfang war die Keynote. Die Keynotes werden von Menschen gesprochen, die oft eine besondere, überrachen Andere Sicht auf den Kongress, die Scene, den Club haben. So auch in diesem Jahr. Alec Empire, der Frontmann der Gruppe Atari Teenage Riot, der unter anderem auch den Soundtrack zum 30C3 Intro gemacht hat, wurde dafür eingeladen. Er sprach über die Bedeutung von Musik und seine Sicht auf die Hacker. Das Hacker für ihn immer Inspiration waren, weil sie bestehende Systeme nutzten um ihr Umfeld zu verbessern. Weil sie nicht alles gegebene so akzeptieren wie es ist, sondern analysieren und hinterfragen. Weil sie durch Zweckentfremdung Technologie für den Fortschritt verwenden, die (manchmal) ursprünglich für den Rückschritt oder den Stillstand konzipiert wurde. Hacker machen Automaten zu Metaautomaten und manchmal zu Computern. Für Hacker sind alle möglichen Technologien das Mittel um die Welt zu verändern, für Alec Empire ist es Musik. Auch wenn es einige Stimmen gab, die schrieben, dass er kein toller Sprecher war oder nicht alles in der Zeit unterbringen konnte, so konnte man doch deutlich erkennen was er ausdrücken wollte und das macht in meinen Augen eine tolle Keynote aus. Der vollständige Text sowie die Audio und Videoausschnitte wurden auf tumblr veröffentlicht, nach der Keynote gab es noch ein lesens-, sehens- bzw. hörenswertes Interview.
Spannend ist, nach dem Kongress zu analysieren was durch den großen Medienfilter nach außen getragen wurde. Große Beliebtheit erzeugten wohl die gedruckten Dildos die es bis auf Spiegel-Online schafften. Auch intern gab es eine künstlerische Rezeption des Themas durch das „Ficklicht am Schwenkgelenk“ (inkl. Twitter-Account) bei der spontanen 91. Ausgabe der internationalen Unterhaltungsgala mit Tim & Holgi, NSFW. Um den Witz vollständig zu verstehen, empfehle ich die Folge 37.
Weniger spaßig war die Veröffentlichung der Abschuss bzw. Todesliste der USA mit Stand von 2010 und der dazugehörige Spiegel Artikel sowie der Vortrag von Jacob Appelbaum and Laura Poitras. Es fühlt sich surreal an, dass es tatsächlich Listen gibt, auf denen Namen von Menschen stehen, die aus Sicht einer Regierung zu töten sind. Die Entscheidungsgrundlage sind manchmal nur Metadaten oder Spracherkennungssoftware. ISAF-Kommandeure konnten entscheiden, ob der Tod von bis zu zehn Zivilisten für eine tote Person auf der Liste in Kauf zu nehmen ist. Die ISAF war eine Sicherheits- und Wiederaufbaumission unter NATO-Führung. „Sei mit mehr möglichen zivilen Opfern zu rechnen gewesen, hatte das zuständige Nato-Hauptquartier das letzte Wort. Dabei galten Bodyguards, Fahrer und männliche Begleiter als feindliche Kämpfer, egal ob sie es wirklich waren. Nur Kinder, Frauen und Alte zählten als Zivilisten.“ [1] Spiegel Online – Krieg in Afghanistan: Obamas geheime Todeslisten, 29.12.2014 In einem Bericht zur Operation „Doody“ vom 7. Februar 2011 steht: „The AH then mistakenly targeted 2 x civilians in the same engagement with a Hellfire miss […]“. Der AH (attack helicopter / Kampfhubschrauber) zielte (und feuerte) versehentlich auf zwei Zivilisten im Zielgebiet mit einer Hellfire Rakete (eine Laser-/Radar gelenkte Panzerabwehrrakete zum Preis von 68.000 US$). Es handelte sich vermutlich um den Nachbarn und seinen Sohn. Das Kind starb sofort, der Vater war schwer verletzt. Die Crew des Hubschraubers bemerkte die Verwechslung, erkannte das eigentliche Ziel, feuerte mit der Bordkanone auf die Person und verletzte „Obj DOODY“ lebensgefährlich. Weiter unten ist zu lesen, dass man versucht Familienmitglieder für zukünftige Kompensationszahlungen zu finden. In den Nachrichten zu hören und zu lesen, dass es Tote gibt, ist das eine. Wenn man so einen Bericht vor sich hat, in dem emotionslos beschrieben wird, wie Menschen getötet worden sind, dann muss man sich erstmal hinsetzen.
Hinsetzen mussten und werden sich noch einige Nutzer von Xerox-Scankopierern. Seit über acht Jahren existiert ein Bug in nahezu allen Geräten, der dazu führt, dass beim Scannen Zahlen und Buchstaben die sich sehr ähnlich sind, ersetzt werden. So kann eine Acht zur Null werden, eine Eins zu einem l oder eine Fünf zu einer Sechs. Der Vortrag von David Kriesel, „Traue keinem Scan, den du nicht selbst gefälscht hast“ beschreibt den Fehler sowie die resultierenden Probleme sehr eindrucksvoll. Ebenso wie der Vortrag „Mit Kunst die Gesellschaft hacken“ von Stefan Pelzer und Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit in dem z. B. die Flucht der „Mauerkreuze“ vom Reichstagsufer an die EU-Außengrenzen gezeigt wird.
Das freie Theaterstück „The time is right“ ist von der Idee sehr schön, hat jedoch bei Besetzung, Inszenierung und Dramaturgie noch etwas Luft. Luft die dann bei den Security Nightmares wieder geschnappt wurde. Mein persönliches Highlight waren die Geldautomaten, die durch Tastenkombination auf dem Tastaturfeld ihre Sortierung änderten und dann z. B. in der 10 Dollar Schale dann 100 Dollar-Scheine vorrätig hatten. Da macht Geld abheben gleich zehn mal mehr Spaß.
Alle Vorträge des 31C3 sind übrigens unter: http://media.ccc.de/browse/congress/2014/ zu finden die Sendungen des Sendezentrums unter: http://das-sendezentrum.de/.
Verweise / References
↑1 | Spiegel Online – Krieg in Afghanistan: Obamas geheime Todeslisten, 29.12.2014 |
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