„Michel Houellebecq und Daniel Kahneman teilen den Literaturmarkt unter sich auf.“ heißt das Anfang November fertiggestellte und beim Kunden gehängte Bild. Ein mittelständisches IT-Unternehmen. Wiederholungstäter. Auftragsarbeit. Acryl auf Leinwand mit Schattenfugenrahmen, 116 x 75 cm. In zehn Jahren wird der Marktwert über dem Jahresumsatz liegen. Erste SMS am nächsten Tag: „Sieht Super aus hier im Büro!!!“
Genau 100 Tage dauerte der Prozess vom Ausmessen und Material bestellen (25.07.2014) bis zum aufhängen (02.11.2014) und das war tatsächlich Zufall. In diesen 100 Tagen stand, lag und hing das Bild im Atelier und entwickelte sich. Farbe rauf, Farbe ab, Farbe drüber, Föhnen, Kratzen, Wischen, Spachteln. In dieser Zeit las und hörte ich einige Bücher. Sehr fasziniert war ich von den Erkenntnissen die Daniel Kahneman in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken zusammenfasst. Besonders aufschlussreich sind für mich die Experimente zur kognitiven Leichtigkeit, die zeigen und versuchen zu erklären, warum Menschen vollkommen unrealistische Denkweisen an den Tag legen obwohl sie es besser wissen müssen.
Michel Houellebecq gehört ohne Zweifel zu meinen Lieblingsautoren, sein Buch „Karte und Gebiet“ zu meinen Lieblingsbüchern. Es handelt vom Künstler Jed Martin, der am Anfang des Romans an der Fertigstellung des Bildes „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“ scheitert, genauer gesagt am Gesichtsausdruck von Koons.
Der Name des Bildes „Michel Houellebecq und Daniel Kahneman teilen den Literaturmarkt unter sich auf.“ suggeriert ein gegenständliches Bild mit gehobenem Ambiente, im Hintergrund ein riesiges Bücherregal. Im Vordergrund sind Houellebecq und Kahneman zu sehen die miteinander diskutieren, sich streiten oder sich lachend die Schenkel klopfen. Man erwartet ein gegenständliches Bild und bekommt ein abstraktes, also gegenstandsloses Bild. Was ist das denn für eine Scheiße? Da wird ein Titel von einem wunderschönen, handwerklich perfekten Bild aus dem Buch eines großartigen Autors geklaut, leicht verändert und unter irgendwelches Geschmiere geklebt? Dieses Bild, auf dem Koons die Arme voller Begeisterung ausstreckt, als wolle er Hirst von etwas überzeugen, hat jeder sofort vor den Augen der den Roman gelesen hat. Aber Moment, das Bild gibt es ja nur im Kopf des Lesers. Houellebecq beschreibt es ja nur. Und schon suhlen wir uns in kognitiven Verzerrungen, begehen einen Bestätigungsfehler und sind bei Kahnemans psychologischen Erkenntnissen. Wir wählen Informationen und interpretieren sie so, dass sie unsere eigenen Erwartungen erfüllen. Ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Bürobewohner? Unbewusst blenden wir Informationen aus, die unsere eigenen Erwartungen widerlegen, z. B., dass es das Bild von Jed Martin gar nicht gibt. Es ist viel interessanter, sich über den vermeintlichen Titelklau und die besondere Dreistigkeit, die in der Zuhilfenahme der abstrakten Kunst liegt, zu beschäftigen. Unabhängig davon, wie das Bild aussieht, es ist fertig. Bei abstrakter Kunst ist es unmöglich zu erkennen, ob das Bild nicht fertig ist, denn seit 1919 kann selbst ein weißes Quadrat auf weißem Grund ein abstraktes Werk sein, welches fertig ist. Die Tatsache das es fertiggestellt ist und hängt, erzwingt in diesem Kontext praktisch die Aussage des nicht gescheitert seins, im Gegensatz zum Protagonisten Jed Martin in diesem Moment. Sein Werk ist nicht fertig und nicht real. Das abstrakte Bild ist also realistischer als das gegenständliche Pendant. Sicher? Sicher ist nur eins. Wenn der Literaturmarkt in der Welt des Kambor-Wiesenberg – in der abstrakte Bilder realistischer sind als ihre gegenständlichen Pendants – aufgeteilt wird, dann unter Houellebecq und Kahneman. Eine schöne Welt.
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