Wenn ein Kunstwerk eine Reaktion hervorruft, dann finde ich das erst einmal gut. Ich unterstelle dann, dass sich die Person(en), wenigstens ein wenig, damit auseinandergesetzt haben. Selbst ein „das gefällt mir nicht“ ist schon ein Anfang einer Auseinandersetzung, die ich mir als Künstler wünsche.
Im Rahmen der Ausstellung verGEBENs wurde die Installation Artikel Eins vom 02.12.2021 bis 23.01.2022 in und vor der Galerie xpon-art in Hamburg gezeigt. Der Titel der Ausstellung passte in vielen Dimensionen. Zum einen aufgrund der Geschichte des Kunstwerks, zum anderen, weil während der Laufzeit der xpon-art Ausstellung ein Baugerüst in die Projektionsachse der Installation gebaut wurde und so der Artikel Eins langsam unlesbar wurde. Darüber hinaus wurde die Installation viermal beschädigt und letztendlich zerstört. Zweimal wurde die Aufhängung verbogen, einmal das Stromkabel zerstört und letztendlich die komplette Optik abgerissen.
Im Rahmen der Konzeption und der Produktion von Artikel Eins habe ich mich sehr intensiv mit dem Grundgesetz, dem Artikel 1 selbst, der Entstehung und der Definition von Würde auseinandergesetzt. Was ist Würde? Und warum sollte sie unantastbar sein? Was passiert, wenn die Würde angetastet wird? Und warum steht genau dieser Satz an der Spitze des Rechtssystems der Bundesrepublik Deutschland? Was steht im Artikel 1 der Verfassungen von unseren Nachbarländern, der USA oder China? Diese beginnen mit sehr formalen Definitionen oder Regeln. Es geht oft ganz konkret um das Volk oder den geografischen Bereich, den die jeweilige Verfassung betrifft.
Unsere Verfassung beginnt mit den Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Da steht nicht, die Würde des Deutschen Volkes ist unantastbar oder die Würde aller, die sich im geografischen Gebiet von Deutschland aufhalten, ist unantastbar oder die Würde aller, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, ist unantastbar. Nein, da steht mit großer Absicht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Darüber kann man mal einen Abend lang nachdenken.
Eine meiner (selbst definierten) Aufgaben als Künstler ist es, der Gesellschaft einen Spiegel hinzustellen, hinzuhängen oder der Spiegel zu sein und so zur Reflexion zu animieren. Sicherlich kann ich den Spiegel kaputt machen oder die Person verurteilen oder vertreiben, die den Spiegel aufgehängt hat. Das ändert aber nichts an der Situation. Den Ansatz der Zerstörung kann ich verstehen. Ich habe schon sehr viele Tennisschläger zerstört, aber kein einziger kaputter Schläger hat mich zu einem besseren Tennisspieler gemacht. Nur zu einem ärmeren. Und genauso wie meine kaputten Schläger in der Mülltonne bin ich ahnungslos, was ich an der Situation hätte ändern können. Die Zerstörung selbst ist zwar Feedback (Daumen hoch), aber sehr schwer zu interpretieren (Daumen runter).
Findet jemand das Kunstwerk hässlich? Findet jemand den Artikel 1, das Grundgesetz oder mich blöd? Waren das Schwurbler:innnen oder Leute die dachten Schwurbler:innen instrumentalisieren das Grundgesetz? Waren es Rechte, Linke oder Umweltschützer:innen, weil in der Wand irgendwelche Fledermäuse wohnen? Waren das Impfgegner:innen oder Impfbefürworter:innen? Mich würde der Grund sehr interessieren. Das Artikel Eins viermal zufällig zerstört wurde, halte ich für weniger wahrscheinlich. Also, bitte melde dich. Die Naddl & Ronny Hotline ist noch immer aktiv und kann auch für Artikel Eins Hinweise genutzt werden (0221 596198687).
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