Die Kunst-Installation „Nur zu Ihrer Sicherheit.“ nähert sich dem Jahrestag. Am 26.12.2013 wurde sie erstmalig in Hamburg präsentiert, sechs Monate später in New York. Anlass, um darüber zu schreiben. Fast jeden Montag bis zum 26.12.2014. In der vorletzten Woche schrieb ich über Punk in den 1980ern.
Nachdem das Podest und der Name des ersten Objektes beschrieben worden sind, kommen wir zur Figur auf dem Podest. Eine kniende weibliche Puppe mit langen roten lockigen Haaren, die Hände über dem Kopf.Die Haltung ist irgendwo zwischen unterwürfig und ergeben, wie bei einer übertrieben hart ausgeführten Polizeikontrolle. Sie trägt eine weiße leicht durchsichtige Bluse, eine Nylonstrumpfhose, einen kurzen gelben Rock, braune hochhackige Pumps und einen braunen Gürtel der einen Strassstein an der Schnalle hat. Am Gürtel hängen die Buchstaben S und T aus Strasssteinen, wobei bei einem Buchstaben ein Steinchen fehlt. (ST ist der im Alter von 13 Jahren von mir gewählte und akzeptierte Spitzname. Im Freundes- und Bekanntenkreis ersetzt ST den Vornamen vollständig.) Am rechten Handgelenk trägt sie eine gelbe Uhr die fünf vor 12 stehengeblieben ist. Das Gesicht ist nicht zu erkennen, denn sie trägt eine Guy Fawkes Maske. Auf den Zweiten Blick könnte man erkennen, dass es sich um eine aufblasbare Sexpuppe handelt. Die Kleidung der Puppe ist zusammengeliehen, den gelben Rock hatte ich 2012 genäht und verschenkt. Der Gürtel ist von meiner Mama, die mir irgendwann alte Gürtel, Knöpfe und Accessoires aus ihrer Jugend geschenkt hatte, als ich begann mich mit Mode, Modedesign und dem Nähen auseinanderzusetzen. Die Strassbuchstaben hatte ich auf St.Pauli in einem der zahlreichen Läden gekauft, in denen man Zeug kaufen kann was man eigentlich nicht braucht aber unwahrscheinlich toll ist. Ich hatte das S und das T lange Zeit an meiner Notebooktasche, dabei muss auch irgendwann der eine Stein abgefallen sein. Als ich dann den Gürtel für die Puppe aussuchte, weil das Braun gut zu den Schuhen passte, sah ich den Stein auf der Schnalle, der fast so groß wie der fehlende ist und dachte, dass dies die Aufforderung sein muss, die Buchstaben an den Gürtel zu hängen, sozusagen als Signatur. Die Armbanduhr zielt auf die etwas in die Jahre gekommene „Es ist Fünf vor Zwölf, wir müssen endlich etwas tun!“ Metapher ab, denn einfach zu Interpretierendes muss es ja auch geben. Die Puppe trägt die Uhr an der rechten Hand, weil sie Linkshänderin ist.
An ihrem Nacken und unter ihrem Rock verschwinden Netzwerkkabel. Sie sollen suggerieren, dass Daten am Rückenmark und dem Intimbereich abgegriffen werden. Es symbolisiert die absolute Überwachung. Die Kabel enden in Netzwerkkarten oder Modems am Podest und fließen somit in einen Bereich der außerhalb der Kontrolle deren liegt, denen die Daten gehören. Stellvertretend für alle Datensammler stehen Abkürzungen von Geheimdiensten an den Kabeln. Obwohl es elegantere Lösungen gäbe, hat jeder Geheimdienst sein eigenes Kabel, weil er dem Kabel des anderen misstraut. Der BND hat sogar noch ein ISDN Modem, weil sie die Umstellung auf breitbandiges Netz noch nicht geschafft haben, es in Deutschland sowieso kein ordentliches Netz gibt und weil sie es eben auch schon immer so gemacht haben. Ein liebevoller Gruß mit einem Augenzwinkern an alle Behörden. Die Akte muss sauber sein!
Drahtlose Verbindungen gibt es auch, wie an einigen WLAN-Komponenten zu erkennen ist. Hier wurde bewusst sehr alte Hardware verwendet, um den Eindruck zu erzeugen, dass veraltete nicht sichere WLAN-Verschlüsselungstechnologien zum Einsatz kommen. Der Hintergrund ist, dass Daten zwar mit großem Aufwand bei der Erhebung geschützt werden (kurzes einsehbares Kabel), dann aber schlampig damit umgegangen wird. Als Beispiel sei hier die Wahl mit Hilfe von Wahlcomputern genannt, die zwar mit Wahlkabine korrekt und Sicher bei der Erhebung durchgeführt wird, aber im Ergebnis eine Katastrophe ist, wenn das Gewählte, bedingt durch elektromagnetische Aussendungen des Wahlcomputers von Außen zu ermitteln ist. Oder wenn Mitarbeiter einen privaten WLAN Zugriffspunkt im Krankenhausnetz installieren, um damit ihre Smartphones zu versorgen und somit dem Publikum in Reichweite versehentlich Patientendaten zugänglich machen.
Am Anfang waren es Magnetbänder (siehe: Über Punk in den 1980ern) und Lochstreifen mit denen Daten gesammelt wurden. Dann kamen Kreditkarten, Videoüberwachung, Mobilfunk, Bonusprogramme, alternative Bezahlsysteme, Mautbrücken, Kennzeichenlesesysteme, Smartphones, elektronische Pässe, Personalausweise und Gesundheitskarten. Am Ende werden dem riesigen Pool noch unsere Biodaten hinzugefügt. Erst durch kleine Arm- oder Fußbänder die unsere Vitaldaten an unser Smartphone senden, später durch kleine drahtlose Sonden. Alles freiwillig. Und dann? Dann haben wir das sprichwörtliche Kabel nicht am, sondern im Arsch und das schränkt unsere Bewegung richtig ein. Du bewegst Dich nur noch so weit, wie das Kabel lang ist. Die zuvor genannten Beispiele machen das auch, aber ohne dass wir es merken. Die Welt um uns herum reagiert auf uns, aber welche Informationen zu welcher Entscheidung führen, haben wir nicht mehr im Griff. Wer hat welche Daten von mir und meint welche Schlüsse daraus ziehen zu können? Und welche Annahmen werden getroffen, wenn es keine Daten gibt? Was wenn falsche Daten über mich vorliegen? Was wenn diese Daten dazu führen, dass ich keinen Job mehr bekomme und gesellschaftlich absteige? Sie können uns zeigen, dass Sie ein reines Gewissen haben, in dem Sie ihr neuronales Netzwerk, die Datenverbindung zu ihrem Gehirn, an unser Netz koppeln. Allerdings mit einem Kabel, denn drahtlos können wir nicht sicherstellen, dass die Daten nicht manipuliert werden. Alles freiwillig.
Freiwillig ist die Figur auf dem Podest nicht in dieser Situation. Die Kleidung und die Präsentation sind absichtlich sexuell konnotiert. Es soll der Eindruck entstehen, dass es sich um eine Prostituierte handeln könnte. Warum sollte man jedoch eine Prostituierte einer Totalüberwachung aussetzen? Prostituierte haben, vermutlich bis auf wenige Ausnahmen, Probleme, die eine Einmischung in Gesellschaft oder Politik unwahrscheinlich machen. Ein wichtiger Punkt bei der Prostitution, ist Datenschutz und Datensparsamkeit. Kunden müssen unter dem Radar bleiben, sonst war es einmal ein Kunde und bei diesem Thema versteht auch plötzlich jeder was Datensparsamkeit ist, nämlich: „Rede wenig, rede wahr, zehre wenig, zahle Bar!“.
Ziel ist es, dass der Betrachter die Erkenntnis erlangt, dass es keine Notwendigkeit zu dieser Überwachungsmaßnahme gibt. Selbst wenn die Dame eine Prostituierte wäre und Unsittliches mit Mitarbeitern von Dreibuchstabenorganisationen gemacht hätte, dann würde sie nicht darüber sprechen. Das Problem ist die Guy Fawkes Maske. Sie stellt einen eindeutigen Bezug her. Selbst ein achtjähriges Kind wäre verdächtig, mit so einer Maske. Oder? Genau das ist der Punkt. Ein Indiz reicht aus um in den Fokus von Ermittlungen zu geraten. Dieses Indiz kann auch die Summe oder die (vermeindliche) Erkenntnis aus einem Potpourri von Daten sein. Woher die Daten kommen oder ob sie richtig sind ist oft zweitrangig. Die Figur soll unsere Assoziationsmaschine ankurbeln uns auffordern zu reflektieren, zu überlegen. Was wissen wir wirklich über diese Figur? Man könnte vielleicht sagen: „Ja, zurecht wird die Frau überwacht, die ist doch Anonymous-Aktivist!“ (und da sind wir wieder beim Kollektiv aus dem Kapitel über Individualität). Vielleicht kommt sie aber auch vom Karneval und hat ihren BH verloren. Vielleicht ist sie Künstlerin und will Fotos für eine Datenschutzkampagne machen. Wir wissen es nicht. In welche Schublade wir die Dame stecken hängt einzig und allein davon ab, welche Informationen wir vorrätig haben. Wir alle hinterlassen Spuren. Die Prostituierte, die Künstlerin, die Närrin vom Karneval und die Anonymous-Aktivistin. Wir können nicht ändern das es Spuren gibt, nur den Umgang damit. Datenschutz.
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