Eine Sommernacht in Brandenburg. Es ist angenehm warm, aus der Ferne hört man elektronische Musik und lebendige Geräusche von vielen Menschen und Maschinen. Manchmal erreicht ein monotones, sonores Brummen – wie von einem sehr großen Dieselgenerator – das Ohr. Es ist kurz nach Mitternacht und seltsamerweise hat man den Eindruck, es läge der Geruch von frisch gebackenen Waffeln in der Luft. Wir befinden uns auf einem Campingplatz. Oder zumindest etwas, was einem Campingplatz sehr nahe kommt. Es fühlt sich an wie eine Campingplatzsimulation. Eine Campingplatzsimulation, von Leuten in der Zukunft gemacht, die nicht genau wissen, wie Campingplatz früher war. Wie bei diesen Mittelalterfesten, wenn Menschen aus dem 21. Jahrhundert sich verkleiden und kochen und spielen sie wären Menschen aus dem 14. Jahrhundert. Wenn aber jemand aus dem 14. Jahrhundert vorbeikommen würde, dann würde er sagen: „Naja Leute, alles ganz nett, aber so eine Plastikwanne hatten wir nicht und diese ganzen Geräte mit den Kabeln da, die sind alle falsch.“ Und genau so fühlt es sich an. Hier hat jemand eine surreale Welt gebaut, die hier nicht her gehört, aber sie ist ganz offensichtlich da. Man kann sie hören, man kann sie riechen, man kann sie fühlen und man kann sie schmecken. Es ist eine kondensierte Wunschzukunft im Realen, aber die Beteiligten wissen, dass die Zukunft anders aussehen wird.
Mitten in dieser Szenerie materialisiert sich eine Situation, die diese Realitätsverzerrung noch bizarr übersteigert. Ein Familienwohnwagen mit Vorzelt. Es sieht so aus, als wäre hier vor ein paar Stunden das klassische Abendessen-Ritual vollzogen worden. Papa am Grill, Salate von Mama, die Brüder ärgern sich gegenseitig und Oma strickt. Die ganz normale Realität, mittig unter der Glockenkurve. Wenn da nicht zentral im Bild ein Junge mit einer Virtual Reality-Brille stehen würde. In welcher Realität steckt er denn jetzt bitte? Campingurlaub am Meer? Abenteuer in der Natur? Spätestens jetzt merkt man, ok, die Szene ist ein Fake. Alles passt nicht zusammen. Die Figuren sind Wachsfiguren. Irgendwie ist es auch ein bisschen zu bunt in der Szene, die Energieversorgung scheint über die von kleinen Solarzellen geladenen Akkus hinauszugehen. Die Lichtregie hat überzogen. Da kreuzen Glasfaser‑, Strom- und Feldkabel den Weg. Welche Spezies hat Glasfasernetzwerke und kommuniziert mit Feldtelefonen? Fehlt nur noch eine Rohrpost. Sonderlicherweise tauchen hier auch Mobilfunknetzwerke auf, die man noch nie gesehen hat und auf allen Funkfrequenzen ist etwas los. Wifi überall und auch diese Schnurlostelefone von zu Hause funktionieren, obwohl hier doch gar nicht zu Hause ist. Die Lösung: Wir befinden uns in einem Museum in der Zukunft. Deswegen auch die Informationstafel und nur deswegen gibt es auch funktionierendes WLAN an diesem Ort. Das Exponat: „Temporäre reale Virtualität im surrealen Realismus“ zeigt, dass es früher wohl möglich war für eine gewisse Zeit draußen zu leben. Früher als das Wetter noch nicht lebensfeindlich war. Früher als es noch Vereine gab, die dezentral an gemeinsamen Zielen gearbeitet haben. Das letzte Indiz, dass dieses Foto in einem Museum gemacht wurde ist die Gießkanne, denn die Pflanzen in diesem Exponat sind echt und müssen regelmäßig mit echtem Wasser gegossen werden.
Das Foto bei flickr.
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